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Dr. Jes Bertelsen


Das Innerste des Bewusstseins
Dzogchen

194 Seiten, € 21,95

ISBN-13: 978-3-9807536-6-1

Unter den tibetischen Formen der Meditation wird Dzogchen – kurz für dzogpa chenpo, die große Vollkommenheit – als eine der höchsten betrachtet. Dzogchen entwickelte sich zunächst innerhalb des indischen Mahayana-Buddhismus und später innerhalb des tibetischen Vajrayana-Buddhismus. Man kann Dzogchen aber eigentlich nicht als eine Religion betrachten. Dzogchen setzt keinen Glauben im westlichen Sinn voraus, kennt keine Dogmatik und keine Ikonografie, bietet keine Kosmologie und verfügt über keinen in sich geschlossenen Kanon von heiligen Texten. In diesem Buch beschreibt Jes Bertelsen Dzogchen als eine "Wissenschaft des Herzens"; eine Übungsform und Praxis, deren Haltung von Mitgefühl und Aufmerksamkeit geprägt ist.

Der erste Teil des Buches befasst sich mit der Praxis des bipolaren Bewusstseins, einer Vorübung zum Dzogchen; mit der Arbeit an der Verfeinerung der Aufmerksamkeit und der Gefühle, die Voraussetzung ist für jede tiefere spirituelle Übungspraxis. Im zweiten Teil geht es um Dzogchen selbst – um einen der steilsten, vielleicht aber auch klarsten unter den Wegen der spirituellen Entwicklung.
 

     

Dieses Buch ist nicht im Buchhandel erhältlich
und kann nur direkt über den OPUS Verlag bestellt werden.

 

    Vorwort

Das vorliegende Buch ist als Fachbuch aufzufassen, als Studienbuch: Es geht um die Praxis des bipolaren Bewusstseins, um Dzogchen und um die Frage, wie sich diese beiden Übungssysteme zueinander verhalten.
Als Lehrgebäude und realisierte Bewusstseinserfahrung - als Können, wenn man so will - wurde Dzogchen vermutlich um das Jahr 500 im heutigen Pakistan (damals Indien) in der Gegend des Swat-Tals entwickelt, und zwar von dem historisch verbürgten, später allerdings mythologisierten Garab Dorje. Im achten Jahrhundert brachten die indischen Lehrer Vimalamitra und Padmasambhava Dzogchen nach Tibet; und hier entwickelte sich diese Praxis - in relativer Isolation - zur zentralen Übungsform in der Tradition der Nyingma-Schule. Die westliche Welt hat erst in unseren Tagen - und in sehr begrenztem Umfang - Erkenntnisse über Dzogchen erlangt.

Unter den spirituellen Formen der Übung gehört Dzogchen zu den steilen Wegen; und es wurde stets geschützt oder sogar geheim gehalten. Nicht etwa aus Gründen der Machterhaltung; man wollte vielmehr die Tradition vor dem Verwässern bewahren und unvorbereitete Schüler, die ohne fachkundige Wegweisung waren, vor der Radikalität dieser Technik schützen. Heute reisen tibetische Lamas in den Westen und unterrichten hier, und viele bisher geheim gehaltene Dzogchentexte werden freigegeben und übersetzt; so stützt sich denn auch dieses Buch ausschließlich auf bereits freigegebene und übersetzte Bücher. Und erst in diesen Jahren, da einzelne westliche Lehrer die Bevollmächtigung zum Unterricht in Dzogchen erhielten, stellt sich die Frage: Unter welchen Bedingungen kann diese Praxis in einem westlichen Kulturumfeld vermittelt werden?

Ist man an diesem pädagogischen Vorhaben beteiligt, muss man sich mehreren Schwierigkeiten stellen: Zwar ist Dzogchen transkulturell; es handelt sich um eine Praxis, die sich letztendlich mit Gesetzmäßigkeiten des Bewusstseins und mit dem Wesen und Kern des Mitgefühls befasst - und die sind vermutlich unter allen Menschen, ungeachtet ihrer jeweiligen kulturellen Zugehörigkeit, dieselben. Beschreibung und Lehrgebäude dieser Technik wurden nun aber primär in Indien und Tibet entwickelt, zu einer Zeit und in einer Welt, die sprachlich und historisch unseren Gegebenheiten fern stehen. Man mag behaupten, dass Dzogchen - auf gewissen einleitenden Stufen - ein Ziel anstrebt, das nicht-sprachlich und unveränderlich ist. Eine Kartographie und Beschreibung des Wegs dorthin muss aber formuliert - und heute, da Dzogchen den Weg in den Westen gefunden hat, neu formuliert - werden.
So war es eigentlich schon immer. Von seiner ersten Entwicklung an wurde Dzogchen konstant erweitert und neu formuliert; Meilensteine in dieser andauernden Entwicklung sind Longchen Rabjams Synthetisierung im 14. Jahrhundert und Jigme Lingpas Wiederentdeckung und Verdichtung der Lehre im 18. Jahrhundert. Dies ist kein simpler Prozess - und heute ist er vielleicht sogar komplexer als je zuvor. Befasst man sich intensiv mit meditativen Prozessen, kommt man nicht umhin festzustellen, wie ausdrucksarm die westlichen Sprachen sind, wenn es um Erfahrungen geht, auf die man bei einer Verfeinerung der Funktion des Bewusstseins trifft.

Ein Buch wie das vorliegende kann man also nicht schreiben, ohne zumindest in Passagen eine fast gekünstelte Sprache zu verwenden. Notgedrungen erfindet man neue Wörter; man presst die bekannten Ausdrücke bis an die Grenzen ihrer Bedeutungsfülle. Wirken die Ausdrucksweisen dieses Buchs mancher- oder vielerorts überanstrengt, so bitte ich den Leser zum einen um Geduld; zum anderen bitte ich ihn, des besonderen Charakters unserer Aufgabe eingedenk zu sein: Es ist der Versuch sprachlicher Darstellung einer Bewusstseinspraxis, die sich in weiten Strecken jenseits der Sprache befindet; einer Praxis, die ursprünglich entwickelt und formuliert wurde in der Sprache des Sanskrit und in tibetischer Sprache - zwei Sprachen, die laut Sachverständigen ungewöhnlich reich an Wendungen und Ausdrücken sind, die den Sinn und seine Formen und Modifikationen beschreiben.

Nach meiner Erfahrung lässt sich für das Unternehmen einer intensiven Bewusstseinspraxis nicht argumentieren; ebenso wenig kann man andere dazu überreden - und sollte es wohl auch nicht versuchen. Dzogchen und seine Vorstufe, die Praxis des bipolaren Bewusstseins oder der mehrseitigen Offenheit, sind - was sie auch sonst sein mögen - Instrumente und Sinneseinstellungen zur Vertiefung und Förderung der menschlichen Entwicklung. Ist ein Mensch in einem intensiven spirituellen Übungsprozess begriffen, so durchläuft er in kurzer Zeit eine beträchtliche Menge an existenzieller Fülle. Und das bedeutet nun einmal großes menschliches Leiden. Dzogchen wird in diesem Buch mehrmals als ein Erwachen beschrieben. Und tatsächlich erwacht der Übende zu größerer Aufmerksamkeit und stärkerer Intensität des Lebens. Das bedeutet aber auch Wachheit und Aufmerksamkeit für das eigene erkannte oder unerkannte Leiden wie auch das anderer. Was den Übenden in der Übung festhält, sind wohl dennoch diese, auf weiten Strecken des Weges augenblickshaften, Erfahrungen verstärkter Wachheit; Erfahrungen, dass die Wirklichkeit, wie wir sie kennen, einer höheren Wachheit gegenüber wie ein Traum erscheinen mag.

Dieses Buch enthält zwei Hauptabschnitte.

Der erste Hauptabschnitt befasst sich mit dem Hintergrund der Praxis der bewusstseinsmäßigen Bipolarität und mit tieferen Aspekten dieser pädagogischen Zugangsweise. Der zweite Hauptabschnitt stellt die Hauptbegriffe und Grundperspektiven des Dzogchen dar; er beschreibt eine zwar vereinfachte, hoffentlich aber dennoch realistische Version der authentischen Dzogchenpraxis.
Im Verlauf der Darstellung wird eine Erläuterung des Verhältnisses zwischen Bipolarität und Dzogchen versucht, mit Rücksicht auf Unterschiede wie auch Gleichheitspunkte.
Die Darstellung will in konzentrierter Form nachweisen, dass die pädagogische Zugangsweise des bipolaren Bewusstseins in konkreter Praxis als Vorbereitung und Vorübung für die hochentwickelte Dzogchen-Pädagogik dienen kann.

Der erste Hauptabschnitt des Buches steht in enger Beziehung mit den drei vorangegangenen Büchern des Autors über das Bewusstsein: Höheres Bewusstsein, Befreiung des Bewusstseins und Der Himmel des Jetzt. Diese drei Bücher behandeln in erweiterter Form einen Großteil des hier abgehandelten Materials, das deswegen auch etwas konzentrierter angesprochen wird.

Der zweite Hauptabschnitt verbindet die in den genannten Büchern dargestellte Übungspraxis unmittelbar mit Dzogchen, so wie Herzgebet und Ikonenmystik auf diskrete und eher indirekte Weise die bipolare Übung des Bewusstseins mit dem Hesychasmus und der ostkirchlichen Mystik des Herz-Gebets zu vergleichen suchte.

Das vorliegende Buch sieht sich in ein umfassenderes, breiteres Bestreben eingebunden, Dzogchen in den Westen zu verpflanzen; daneben und darüber hinaus geht es aber auch um den Versuch, einer Bitte zu entsprechen, die mehrere Menschen stellten, welche das Übungssystem der Bipolarität studieren und praktizieren: Es wurde ausdrücklich eine Erläuterung und Nuancierung des Verhältnisses zwischen Bipolarität und Dzogchen gewünscht. Und so ist dieses Buch denn der Versuch einer solchen Präzisierung.

Die tatsächliche Unterweisung, in der Praxis der Bipolarität wie auch im Dzogchen, erfolgt in gegenseitigem Austausch in kleineren Gruppen interessierter und praktizierender Menschen. Während des Schreibprozesses stellte ich mir einen solchen vertraulichen Kreis von Interessierten vor; und in diesen Kreis wird der mir unbekannte Leser sozusagen eingeladen. Das "Wir" des Buches verweist auf den gegenseitigen Austausch und die Übung, die in einer solchen konkreten Gruppe interessierter Teilnehmer stattfinden. Für alle Fälle findet sich im Namen der kreativen Scherzhaftigkeit auch Platz für einen möglichen zukünftigen praktizierenden Leser. Das Buch wendet sich also an drei verschiedene Gruppen von Menschen: zunächst und vor allem an die mir gut bekannten Studierenden und Praktizierenden; dann an den aktuellen, mir unbekannten Leser, den ich im Voraus um Geduld bitte - und darum, dass er die "Fachsimpelei" entschuldigen möge, die sich im Verlauf der tieferen Beschäftigung mit dem Gegenstand nicht vermeiden ließ; und endlich, im Scherz und Ernst, an einen zukünftigen praktizierenden Leser, der durch vergangene Zeiten zurückblickt und die ersten unsicheren Schritte auf einem in der Zukunft hoffentlich öfter beschrittenen Pfad untersucht.

Jes Bertelsen
 
 



 

    Inhaltsverzeichnis:

- Vorwort
Das Bewusstsein
- Stufen und Funktionen
- Aus einem Traum erwachen
- Schlaf, Traum, Wachheit
- Neutrale Betrachtung
- Luzide Träume
- Bipolares Bewusstsein
- Im Kino üben
- Bipolares Bewusstsein in Träumen
- Der natürliche Prozess der Initiation
- Herz und Gewahrsein
- Zusammenhänge weben - und Brüche schaffen
- Die zahllosen Facetten des Bewusstseins
- Kants transzendentale Apperzeption
- Einsicht aus der Sprache in die Stille tragen

 

DZOGCHEN
- Grundlagen
- Die vorbereitenden Initiationen
- Instruktion zur Einführung in das Innerste des
   Bewusstseins
- Trekchö und Tögal
- Garab Dorjes drei Dzogchenformeln
- Selbst-erfolgende Selbstbefreiung
- In der biografischen Vorstellung üben
- Der natürliche Zustand
- Vision und Bewusstsein
- Mit dem Herzen sehen
- Die Linie
- Die Musik der Linie
- Anhang
- Anmerkungen
- Literatur